Die Kunst des Alleinseins

Wann immer ich erzähle, dass ich allein reise, folgen darauf die fast schon obligatorischen Fragen, ob ich denn keine Angst hätte so ganz ohne Begleitung und ob man sich da nicht schnell einsam fühlt. Tatsächlich bevorzuge ich es mittlerweile meinen Trip ganz auf mich gestellt zu starten und entscheide mich immer öfter ganz bewusst dafür, alleine loszuziehen. Dass das in diesem Moment so rein gar nichts mit meiner Sympathie zu einem potenziellen Reisepartner zu tun hat, wollen dann aber die wenigsten so wirklich verstehen.

Selbstgewähltes Alleinsein, schon fast ein Fremdwort – richtet sich das doch entgegen alles, wofür unsere heutige Gesellschaft steht: Den Zwang rund um die Uhr erreichbar zu sein, die digitale Welt zu jeder Zeit am eigenen Leben teilhaben zu lassen und Multi-Tasking in Hochkultur zu leben. Der Heerschar an Eindrücken die da 24 Stunden am Tag auf uns einprasselt, kann man sich doch schon fast nicht mehr entziehen.Und vielleicht ist es genau das, was das alleine Reisen für mich so reizvoll macht. Die Möglichkeit alle sozialen Zwänge endlich einmal hinter mir zu lassen und mit augenscheinlich unsozialem Verhalten wieder Mensch zu sein, mich ganz bewusst mit mir und meinen Bedürfnissen zu beschäftigen und ganz genau das zu tun, worauf ich Lust habe – ohne Kompromisse, Verzicht oder Einschränkungen.


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Das Einsamkeits-Alleinsein-Dilemma

Wie kann es sein, dass wir verlernt haben nur mit uns selbst zu sein? Jene, denen das reale soziale Umfeld fehlt, stürzen sich oft immer tiefer in ihre virtuelle Welt, in der sie Anschluss finden und Bestätigung auf Knopfdruck erhalten. Diejenigen, die sich auf die Kunst der der sozialen Interaktion verstehen, werden zum sozialen Chamäleon, dass seine ganze Energie darauf verwendet stets gut anzukommen, um den nächsten Abend nur ja mit oberflächlichen Unverbindlichkeiten zu füllen und den Verlust jeglichen Tiefgangs dafür bereitwillig in Kauf nimmt. Dabei wird Alleinsein ganz selbstverständlich zum Synonym der Einsamkeit und um Letztere zu verhindern, muss Ersteres schlicht vom Radar verschwinden.

Eine trügerische Gleichstellung mit fatalen Folgen. Allein zu sein heißt nämlich keineswegs automatisch einsam zu sein. Vielmehr kann die Einsamkeit als mögliche Folge des Alleinseins angesehen werden, nicht jedoch als in Stein gemeißeltes Manifest. Und ist es nicht letztlich sogar so, dass sich unter jenen die nach außen hin niemals allein sind,oft diejenigen von uns verbergen, die am einsamsten sind? Letztlich ist es also die Angst vor dem, was passieren könnte, die uns das Alleinsein fürchten lehrt, obwohl dieses „könnte“ auch dann eintreten kann, wenn wir nicht allein sind.

Alleinsein als Chance

Außer acht gelassen, werden dabei jedoch die zahlreichen anderen Optionen, die ein bewusstes Alleinsein mit sich bringen könnte. Und dieses „könnte“ wiederum, sollte eigentlich den ein oder anderen Blick wert sein:

Als Kind war es ganz einfach. Hatten wir niemanden zum spielen, haben wir uns mit uns selbst beschäftigt, einfach das getan worauf wir Lust haben, unsere Phantasie benutzt und unsere Bedürfnisse ganz selbstverständlich nach außen hin geäußert. Eigenschaften, die den meisten von uns in den Jahren des Erwachsenwerdens verloren gegangen sind, ja regelrecht abgewöhnt wurden. Sei nicht so egoistisch, benimm dich, was könnten die anderen denken?, Phrasen die sich ganz nebebei in unserem Unterbewusstsein eingenistet haben und uns vergessen haben lassen, unsere Bedürfnisse zu erkennen. Diese wieder zu finden, scheint unter dem Trubel und der Geschäftigkeit, dem wir uns mehr oder weniger freiwillig aussetzen, schon fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, sich selbst – ganz für sich allein – einmal wirklich kennenzulernen, wird schnell herausfinden, was wirklich wichtig für einen ist.


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Gesunder Egoismus, der Schlüssel zum Glück

Sich nur um seine eigenen Bedürfnisse zu kümmern und auf das bedacht zu sein, was gut für einen ist, ist aber doch unglaublich egoistisch (und in unserer sozialen Gesellschaft sowieso ziemlich verpönt), oder? Auch hier liegt eine leichtsinnige Gleichsetzung zweier Begriffe vor. Wer auf seine Bedürfnisse hört, ist nämlich keineswegs automatisch ein Egoist. Wer jedoch dauerhaft glücklich sein möchte, braucht eine gesunde Portion Egoismus.

Nun, eine gewagte These, zugegeben. Beleuchtet man sie jedoch einmal genauer, erschließt sich worauf ich hinaus möchte. Gehen wir von jemandem aus, der nicht allein sein kann oder möchte, aber auch seine eigenen, wirklichen Bedürfnisse nicht kennt. All zu oft resultiert die Angst davor mit sich allein zu sein nämlich auch schon aus der Furcht vor dem, was man finden könnte, wenn man sich auf einmal mit sich selbst beschäftigen muss. Da stellt sich aber doch direkt die Frage, wenn man sich selbst nicht leiden kann, wie sollen es dann andere tun? Noch so ein Phrase, die ich mal eben pauschal in den Raum werfe. Um das Gesamtbild zu verstehen, ist sie aber notwendig und wichtig.

Die Sache mit der Erwartungshaltung

Denn gerade in Sachen zwischenmenschlicher Beziehungen hängen wir doch all zu gerne dem Wunschdenken hinterher, irgendjemand würde einen schon verstehen und uns genau das geben was man braucht, wird das Gegenüber dieser Erwartungshaltung dann nicht gerecht, ist die Enttäuschung groß. Wenn wir aber gar nicht erst wissen, was es ist, dass wir brauchen, woran machen wir dann eigentlich fest, dass das was wir bekommen, nicht das ist, was wir wollen? Um das herauszufinden führt kein Weg daran vorbei, sich einmal hinzusetzen, in sich selbst zu hören und zurück zu sich selbst zu finden. Im Grunde geht es also darum einfach mal die eigenen Ansprüche zu klären und herauszufinden, was man vom eigenen Leben erwartetet. Und erst wenn man diese Erwartungen kennt, kann man auch wissen, was man von anderen erwarten möchte und sollte.

In der Praxis ist es dann aber meist so: Wirft man die bisher für einen gültigen Erwartungen ab, die zumeist sowieso nur das Ergebnis gesellschaftlicher Standards, Erziehung und anderer äußerer Einflüsse waren, erkennt man schnell, dass es schon allein die Abhängigkeit von anderen war, die einem der wichtigsten eigenen Bedürfnisse im Weg stand – glücklich zu sein.


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Was ist eigentlich Glück?

Glück, das bedeutet für jeden etwas anderes und kann in ganz unterschiedlichen Formen und Farben daherkommen. Gemeinsam hat es aber für jeden eines, wir finden es nur in uns. Natürlich kann tragen Freunde, Familie eine ausgeglichene Partnerschaft und dergleichen zu unserem ganz persönlichen Glücklichsein bei. Wer aber von vornherein nicht glücklich ist, wird auf Dauer auch keine Freude an diesen Teilen des eigenen Lebens haben. Es führt also immer wieder zurück zur inneren Einstellung, die überhaupt erst bestimmt, wie der Rest unseres Lebens abläuft. Also glückliches Alleinsein als Mittel zum glücklichen Miteinander.


Alleinsein als Universallösung?

Gott, nein! Es gibt im Leben kein Patentrezept und überhaupt ist das Leben nicht immer fair und verläuft so, wie man es gerne hätte – auch wenn man augenscheinlich alles richtig macht. Oft mit sich allein zu sein schließt eben nicht aus auch mal einsam zu sein und es gibt genug Menschen, die diese Momente mit sich selbst einfach nicht brauchen und lieber unter Menschen sind – eines von deren Grundbedürfnissen (das es aber eben erst zu erkennen gilt). Wer viel mit sich allein ist, läuft außerdem ganz zwangsläufig Gefahr, sich selbst kennenzulernen,in all seinen Facetten, gute wie schlechte Seiten. Und gerade letztere sind oft keine so willkommene Erkenntnis. Ist man an diesem Punkt angekommen, ist man jedoch auch soweit sich folgende Fragen endlich ehrlich beantworten zu können: Wer bin ich? Wer will ich sein? Was für ein Leben will ich führen? – und das ist doch zumindest schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.

3 Comments

  1. Toll geschrieben und es macht das alleine Reisen sehr reizvoll 🙂

  2. Hallo Sandra,
    ich finde deinen Beitrag auch super 🙂
    Ich bin auch jemand, der gerne einfach mal alleine ist. Ich finde es anstrengend, immerzu Leute um mich herum zu haben. Für mich ist es daher schwer zu verstehen, wie jemand überhaupt nicht allein sein kann (da kenne ich genug Leute). Aber da ist einfach jeder anders.
    Nächstes Jahr will ich zum ersten Mal länger allein verreisen. Ich hoffe, mir wird dass Alleinsein dann auch noch gefallen (wobei ich mir da eigentlich keine Sorgen mache).
    Herzliche Grüße
    Natascha
    PS: Ich habe deiner Facebook-Seite soeben den 100sten Like geschenkt 😉

    • Sandra

      3. Februar 2016 at 13:15

      Hallo Natascha!
      Erstmal natürlich Danke für deinen Jubiläums-Like!! Yay 😀

      Ich wünsch dir ganz viel Erfolg bei deiner ersten Solo-Reise. Meine erste, war – ohne dich entmutigen zu wollen – schlimm 😀 Aber das gehört wohl einfach dazu, dass nicht immer alles glatt geht und rückblickend betrachtet war es trotzdem eine tolle Zeit und ichkann noch heute die besten Storys davon erzählen.

      Ich hatte aber eben auch schon Reisen zu zweit oder mehr, die für mich am Ende einfach nur noch kräftezehrend waren. Ich denke, wenn man den richtigen Reisepartner hat, der auch mal ohne einen was machen kann, ist zusammen Reisen etwas wirklich tolles (ich habe so jemanden), ansonsten bevorzuge ich es aber wirklich allein loszuziehen.

      Liebe Grüße
      Sandra

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